H191 Mitralinsuffizienz.
Chr.-F.Vahl, N.Kayhan, S.Hagl
Chir. Klinik Abt. f. Herzchirurgie Uni.-Klinikum Heidelberg, Heidelberg.

Üblicherweise werden heute Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz operiert, wenn sie klinisch auffällig werden und sich im NYHA Stadium (II)-III befinden.Vor der Operation wird der Patient in der Regel über viele Jahre von Kardiologen betreut und behandelt. Die entsprechende kardiologische Literatur begründet dieses Konzept des “watchful-waiting” mit klinischen Verlaufsbeobachtungen. Die chirurgische Literatur ist geprägt durch die Diskussion chirurgischer Strategien (Klappenptothesen, Art der Rekonstruktion, minimal-invasiv Techniken, Telemanipulatoren etc). Diese Diskussion ist unter chirurgisch technischen Aspekten interessant. Ob sie auch für das Schicksal des Patienten relevant ist, sei dahingestellt, da die Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie wesentlich durch die sekundäre Pathologie des Herzens (und der vor- und nachgeschalteten Organe) bestimmt werden. Eine Reparatur des Ventils macht diese lange kardiale Krankheitsgeschichte und die begleitenden “Kollateralschäden” der abhängigen Organe nicht rückgängig. Ein Ersatz des Ventils durch eine Prothese schafft eine additive Pathologie.

Daher ist nach meinem Dafürhalten die eigentlich interessante aktuelle Fragestellung der Chirurgie der Mitralinsuffizienz die Frage nach dem richtigen Operationszeitpunkt.

Pathophysiologische und pathomorphologische Untersuchungen am isolierten Herzmuskelpräparat sprechen in Übereinstimmung mit unseren eigenen Befunden dafür, daß wesentliche Schädigungen des Kontraktionsverhaltens, des intracellulären Calciummetabolismus und der Myocardmorphologie bereits im Stadium NYHA II der Mitralinsuffizienz nachgewiesen werden. Auch klinische Daten sprechen dafür, daß Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz so spät operiert werden, daß sie nicht mehr optimal von der Operation profitieren können (Tribouilloy et al, Circulation 1999: 400-405). Als Konsequenz ergibt sich die Überlegung, diese Patienten bereits wesentlich frühzeitiger (im klinischen Stadium NYHA I) eine operative Korrektur der Mitralklappe anzubieten. Fortschritte der chirurgischen perioperativen Bildgebung und Diagnostik(4D-Jet-Visualisierung, Kavometrie etc.)machen heute eine exakte Planung des Eingriffes möglich. Diese Planung schließt nicht nur die Technik der chirurgischen Korrektur der Klappe ein, sondern erstreckt sich auf die Planung des operativen Zuganges (e.g.: minimal invasive Intervention) und die perioperative physiologische Meßwerterhebung als konsequente Qualitätssicherung.

Das hätte zur Folge, daß ein “noch fast herzgesunder Patient” (ohne sekundäre Pathologie) zur Operation kommt, der zumeist in minimal invasiver Technik operiert werden wird. Der elektive Eingriff ist exakt planbar, der Erhalt der körpereigenen Klappe nahezu garantiert. Dadurch wird sowohl der Entwicklung einer sekundären myocardialen Pathologie vorgebeugt als auch verhindert, daß sich eine Begleitpathologie aus der erforderlichen Marcumarisierung ergibt (bei mechanischer Klappenprothese oder bei bereits bestehendem Vorhofflimmern). Der frühzeitig operierte Patient wird die Belastbarkeit, die Arbeitsfähigkeit und die Lebenserwartung und -qualität seiner Bevölkerungsgruppe teilen.

Möglicherweise kann die Chirurgie der Mitralinsuffizienz die Erfolgsgeschichte der Chirurgie des Vorhofseptumdefektes wiederholen: Erfolg durch Umdenken bei der Indikationsstellung. Geeignete chirurgische Strategien stehen heute zur Verfügung, um aus der Mitralklappenchirurgie den Prototypen einer risikoarmen, präventiven Intervention zu machen. Allerdings werden Chirurgen und Kardiologen dieses attraktive Konzept einer präventiven Medizin mit klinischen Daten stützen müssen, um (1) geeignete Patienten zu selektieren und (2) die Notwendigkeit des Umdenkens durch entsprechende Langzeitbeobachtungen zu belegen.