H83 Schrittmacherdifferentialtherapie: Ist sie wirklich notwendig?
U.Wiegand
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Medizinische Klinik II, Lübeck.

Für die Schrittmachersystemauswahl gibt es zwei prinzipiell unterschiedliche Ansätze: (1) den Einsatz einer ventrikulären Bedarfsstimulation als Asystolieschutz bzw. zur Frequenzsteigerung bei Bradykardie oder (2) eine differenzierte, an der ursächlichen Rhythmusproblematik orientierte Schrittmachertherapie, die neben den vorgenannten Zielen auch eine Optimierung der Hämodynamik anstrebt. Diese “physiologische” Stimulation wird in den Leitlinien der Fachgesellschaften als optimale Therapieform für die Mehrzahl der Patienten angesehen. In großen, prospektiv randomisierten Multicenterstudien wie PASE, CTOPP, MOST und UKPACE konnte allerdings keine generelle Prognoseverbesserung durch vorhof-beteiligte Schrittmachersysteme im Vergleich zu einer Therapie mit ventrikulären Bedarfsschrittmachern nachgewiesen werden (Abb. 1).

Ursächlich hierfür könnten in experimentellen und klinischen Studien nachgewiesene negative Auswirkungen der Stimulation im rechtsventrikulären Apex sein, die die potentiell günstigen Effekte der AV-Synchronität überlagern. Für diese Hypothese spricht die Diskrepanz zwischen den Ergebnisse einer Studie von Andersen et al., in der bei Patienten mit Sinusknotenerkrankung eine Mortalitätsreduktion durch AAIR- im Vergleich zur VVIR-Stimulation nachgewiesen werden konnte, und der vergleichbaren Mortalität bei DDD- und VVI-stimulierten Patienten in CTOPP und MOST. In die gleiche Richtung weist eine Subgruppenanalyse der CTOPP-Studie, die einen prognostischen Benefit durch vorhof-beteiligte Schrittmachersysteme für überwiegend stimulationspflichtige Patienten nachweist, bei den übrigen aber vergleichbare Mortalitäten zeigt. Auf der anderen Seite konnte ein günstiger Effekt der Zweikammerstimulation bei älteren Patienten (> 70 Jahre) mit hochgradigen AV-Blockierungen in der UKPACE-Studie nicht nachgewiesen werden: Gesamtmortalität, Vorhofflimmerrisiko und kardiovaskuläre Komplikationen wurden im Vergleich zu ventrikulär stimulierten Patienten nicht reduziert. Auch die übrigen Studien konnten keine generell günstigen Effekte der vorhof-beteiligten Stimulation auf Lebensqualität, Belastbarkeit und Herzinsuffizienzsymptomatik nachweisen; nur für die Gruppe der Patienten mit Sinusknotenerkrankung wurden Vorteile der vorhof-beteiligten Stimulation nachgewiesen. Die Vorhofflimmerinzidenz wird bei Patienten mit Sinusknotenerkrankung durch eine vorhof-beteiligte Stimulation um einen in den Studien konsistenten Wert von 20 bis 30% gesenkt. Auch hier gilt, daß die Vorhofflimmerrate unter einer AAI-Stimulation geringer ist als bei DDD-Schrittmachertherapie (DANEPACE).


Gesamtmortalität bei "physiologischer" und ventrikulärer Schrittmacherstimulation Die generelle Implantation von Zweikammerschrittmachern wird demnach durch die Daten der Multicenter-Studien nicht gestützt. Ebensowenig wird allerdings die konträre Ansicht belegt, eine Schrittmacherdifferentialtherapie sei nicht notwendig und die VVI-Stimulation für die Mehrzahl der Patienten ausreichend. Die Systemwahl sollte vielmehr so erfolgen, daß eine ventrikuläre Stimulation möglichst vermieden wird: dies bedeutet einen vermehrten Einsatz von AAI-Schrittmachern bei Patienten mit Sinusknotensyndrom und läßt bei Patienten mit intermittierenden Bradykardien die Implantation von VVI-Schrittmachern mit Frequenzhysterese zu. Eine Limitation aller bisherigen Studien ist, daß weder Optimierungen der ventrikulären Elektrodenplazierung noch der Schrittmacherprogrammierung angestrebt wurden. Diese Konzepte sind insbesondere für Patienten mit AV-Blockierungen, bei denen die Ergebnisse der physiologischen Stimulation bislang enttäuschend sind, vielversprechend, bedürfen allerdings noch einer intensiven wissenschaftlichen Evaluation.