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Wie die Kardiologie unser Leben verlängert – Die zunehmende Bedeutung von Biomarkern in der Früherkennung

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Statement Prof. Dr. Hugo Katus (Heidelberg),

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie

Dass die Lebenserwartung in Deutschland weiter ansteigt und jetzt bei neugeborenen Jungen 78 Jahren und vier Monate, und bei neugeborenen Mädchen 83 Jahre und zwei Monate beträgt, dafür sind maßgeblich auch die diagnostischen und therapeutischen Fortschritte in der modernen Herz-Medizin mitverantwortlich. Ein eindrucksvolles Beispiel ist hier der Rückgang der Sterblichkeit bei akuten Herzinfarkten. Gegenüber dem Beginn der 1990er Jahre verringerte sich bis zum Jahr 2015 die Herzinfarkt-Sterbeziffer in Deutschland bei Männern um 67,6 Prozent und bei Frauen um 57,3 Prozent. 1990 verstarben hierzulande noch 85.625 Menschen an einem Herzinfarkt, 2015 waren es 49.210 – und das bei einer größer und älter werdenden Gesellschaft.

Dazu tragen eine Reihe von Entwicklungen bei, zum Beispiel die Herzinfarkt-Netzwerke, die eine rasche und kompetente Behandlung sicherstellen und für einheitliche Standards gesorgt haben. Dazu beigetragen hat auch die Fachkompetenz nicht nur in den von der DGK zertifizierten Chest Pain Units (CPU, Brustschmerz-Einheiten in Krankenhäusern) und Ambulanzen, sondern auch in Intensivstationen.

Eine zentrale Rolle in der Diagnose und Therapie spielt die schonende Herzkatheter-Technik: Sie ermöglicht über einen biegsamen Schlauch eine Wiedereröffnung und Offenhaltung verengter oder verschlossener Blutgefäße, Ablationen bei Vorhofflimmern, und das Implantieren von Stents, aber auch von Herzklappen und gewissen Schrittmachern. Das ist ein gewaltiger Fortschritt.

Von solchen minimalinvasiven Methoden profitieren nicht nur alte Menschen, für die eine herkömmliche herzchirurgische Operation ein hohes Risiko bedeuten kann, sondern zunehmend – zum Beispiel beim Katheter-gestützten perkutanen Aortenklappenersatz (TAVI) – auch jüngere.

Dazu kommen Entwicklungen bei Medikamenten. Zum Beispiel müssen Patienten nach einem mittels Herzkatheter versorgten Infarkt über längere Zeit die Blutgerinnung hemmende Medikamente einnehmen. Auch auf diesem Gebiet haben Neuentwicklungen in den vergangenen Jahren die Resultate verbessert.

Noch immer Todesursache Nummer Eins: Hoher Stellenwert von Prävention und Früherkennung 

Allerdings, und das ist die bestehende Schattenseite der kardiologischen Erfolgsgeschichte, sind Herzkrankheiten in Deutschland noch immer die Todesursache Nummer Eins. Die Herausforderungen an die moderne Herz-Medizin bleiben also hoch. Eine Ursache der hohen Sterblichkeit ist, dass der verbreitete, von Übergewicht, Bewegungsarmut, Rauchen geprägte Lebensstil viele Fortschritte der Kardiologie wieder neutralisiert.

Einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Krankheiten leistet die Prävention. Primärprävention bedeutet gesunde Ernährung, kein starkes Übergewicht, ausreichende Bewegung, nicht Rauchen.

In der Sekundärprävention geht es darum, schwereren Schaden zu vermeiden, nachdem es bereits zu einer Erkrankung wie einem Herzinfarkt gekommen ist. Auch hier gelten zunächst die Prinzipien: Rauchen aufgeben, Gewicht reduzieren und körperliches Training. Darüber hinaus kann die langfristige Einnahme von Medikamenten angezeigt sein.

Diese Maßnahmen bringen Patienten einen quantifizierbaren Nutzen. So senkt nach einem Herzinfarkt die tägliche Einnahme von niedrig dosiertem Aspirin die jährliche Sterblichkeit um rund 13 Prozent. Cholesterinsenker vom Typ der Statine senken die Sterblichkeit um 25 Prozent. In dieser Größenordnung liegen die lebensverlängernden Wirkungen der Blutdruckmedikamente ACE-Hemmer (minus 22 Prozent) und Betablocker (minus 23 Prozent). Lebensstil-Veränderungen wie auf das Rauchen verzichten, Gewicht abnehmen, gesunde Ernährung und körperliches Training bringen einen Effekt in der Größenordnung von mindestens 20 Prozent.

Eine weitere Ursache der noch immer hohen Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, dass weit verbreitete Risikofaktoren wie erhöhter Blutdruck, ungünstige Cholesterinwerte und hohe Blutzuckerspiegel unerkannt bleiben, weil viele Menschen sich nicht untersuchen lassen. In der Folge bleiben Krankheiten und Risikofaktoren lange Zeit unentdeckt und unbehandelt, bis sie sich schließlich massiv manifestieren. Die DGK wird, wie schon bisher, durch Aufklärung und Information dazu beitragen, dass eine höhere Inanspruchnahme von Früherkennungs-Untersuchungen zu einer weiteren Reduktion der Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt.

Biomarker: risikoreiche Entwicklungen erkennen und gezielt behandeln 

Die moderne Forschung bietet hier zum Beispiel mit den Biomarkern immer bessere Möglichkeiten, risikoreiche Entwicklungen nicht nur zu erkennen, sondern auch gezielt zu behandeln. Lassen Sie mich das am Beispiel des Biomarkers Troponin ausführen.

Biomarker sind körpereigene Moleküle, die bei einem Krankheitsvorgang neu entstehen oder verstärkt gebildet werden. Bei Infarkt-Markern werden sie durch Schädigung der Zellmembran aus Zellen freigesetzt. Biomarker können also, sofern sie spezifisch einen Krankheitsprozess anzeigen können und Testsysteme mit ausreichender analytischer Qualität verfügbar sind, für die Diagnostik und Prognose angewendet werden.

Seit unser Team in Heidelberg 1987 den Troponin T Assay erfunden und entwickelt hat, wurden die Testsysteme kontinuierlich verbessert. Hochsensitive Tests können heute auch sehr niedrige Troponin-Konzentrationen im Blut nachweisen. Sie eröffnen eine neue Dimension in der Erkennung von Krankheits- und Umbauprozessen des Herzens, und sie verändern nachhaltig die Diagnostik des Herzinfarkts und der Herzmuskelschädigungen.

Der Biomarker Troponin ermöglicht zum Beispiel eine rasche und sichere Herzinfarkt-Diagnose. Während mit konventionellen Troponin-T Tests eine Wartezeit von drei oder sechs Stunden erforderlich wäre, um einen Konzentrationsanstieg einem Herzinfarkt zuzuordnen, ist das mit den neuen hochsensitiven Troponin-Tests durch den diagnostischen Ein-Stunden-Algorithmus bereits nach einer Stunde möglich. Das bedeutet bei positivem Befund eine stark verkürzte Zeit bis zum Beginn der Behandlung, und bei einem Herzinfarkt ist jede gewonnene Minute wichtig. Bei negativem Befund bedeutet das den Ausschluss eines Herzinfarkts sowie eine starke Kosteneinsparung, weil dann Patienten wieder nach Hause gehen können, ohne die Infrastruktur der Notfallstation unnötig zu belasten.

So wurde in einer Studie gezeigt, dass auch ohne EKG-Befund mittels eines hochsensitiven Troponin-Tests bei der Krankenhausaufnahme wirksam und sicher bei einem Drittel der Patienten mit Infarkt-Verdacht ein Herzinfarkt ausgeschlossen werden konnte.

Wichtige Hinweise liefern die Troponin-Werte nicht nur für das individuelle Risiko eines Patienten, sondern auch für die Wahl der Therapie. Mittels hochsensitiver Troponin-Tests lassen sich auch sogenannte „Mikroinfarkte“ feststellen, die riskant sind und entsprechend behandelt werden müssen.

Weil Troponin durch jede Form der Herzmuskelschädigung freigesetzt werden kann, gibt es auch Troponin-Erhöhungen, die nicht durch einen Herzinfarkt entstehen. Die Diagnose Myokardschädigung ist in jedem Fall sehr bedeutsam, weil sie mit einem hohen Herz-Risiko einhergehen kann ist. Diese Einsicht eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Risikobestimmung und Therapiekontrolle.

Erhöhte Troponin-Werte können auch auf Myokardschädigungen bei Patienten mit akuten oder chronischen nicht-kardialen Erkrankungen hinweisen: Zum Beispiel bei Pneumonie, COPD, Niereninsuffizienz, Lungenhochdruck, Chemotherapie oder Gefäßentzündungen (Vasculitis). Unabhängig von der Ursache der Herzmuskelschädigung steht bei diesen Erkrankungen eine Beteiligung des Herzens, erkennbar an den Troponin-Erhöhungen im Blut, mit einer erhöhten Sterblichkeit von bis zu 40 Prozent im ersten Jahr in einem Zusammenhang.

Troponin-Werte im Blut haben sich darüber hinaus auch als Prädiktoren für das Herz-Kreislauf- und Gesamt-Sterblichkeits-Risiko sowie das Risiko einer Krankenhauseinweisung in Niedrigrisiko-Gruppen oder auch bei vermeintlich gesunden Probanden (Nicht-Sekundärprävention und Sekundärprävention) erwiesen. Das Ergebnis war, dass hochsensitives Troponin T eine ausgezeichnete Risikobewertung (Risikostratifikation) ermöglichte, die prognostischen Ergebnisse waren besser als bei den etablierten PROCAM Score und drei FRAMINGHAM Unter-Scores.

Neue Studienergebnisse geben Hinweise darauf, dass Troponin-T Tests auch bei der Abschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos eines hohen LDL-Cholesterins in der Primärprävention unterstützen können, oder bei der Verlaufskontrolle einer Statintherapie. Darauf deuten die Ergebnisse einer Studie im Journal of the American College of Cardiology hin.

Wir hoffen, kardiale Troponine in Zukunft vermehrt auch zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos, zur Auswahl einer Therapie und zu deren Erfolgskontrolle heranzuziehen zu können. Zunehmend erforscht wurde auch der Umstand, dass Troponin geschlechtsspezifisch ist. Frauen haben niedrigere Werte als Männer, was durch die neuen hochsensitiven Tests aufgedeckt werden kann.

Qualitätssicherung in der Kardiologie 

Neben all diesen schönen Fortschritten der modernen Kardiologie ist für unsere Patienten natürlich noch ein weiterer Gesichtspunkt wesentlich: Die ärztliche Qualität.

Im Zeitalter des Internet und sozialer Medien werden wir Ärzte in unserer Arbeit zunehmend von vermeintlich unabhängigen Bewertungsportalen und Journalen evaluiert. Auf großes Interesse unter Ärztinnen und Ärzten dürfte das Bundegerichtshof-Urteil von Ende Februar gegen die populäre Bewertungsplattform Jameda gestoßen sein. Der interessanteste Teil der Urteilsbegründung nämlich belegt die wirtschaftlichen Interessen von Jameda und die dadurch beeinträchtigte Objektivität dieses Portals. Das Internet-Portal muss nun sein Geschäftsmodell ändern, in dem die für Werbung zahlenden Ärzte gegenüber den anderen aufgelisteten Medizinern nicht mehr privilegiert werden dürfen, denn hier verlässt das Portal seine neutrale Informationsvermittlung.

Dass es aber eine Nachfrage und ein durchaus berechtigtes Patienteninteresse nach qualitätsbasierten Empfehlungen und Auswahlkriterien gibt, zeigt schon die Vielfalt und häufige Nutzung einschlägiger Webangebote – so problematisch sie auch sein mögen.

Wir, die DGK als medizinische Fachgesellschaft, stehen jedoch nicht für vergleichende Analysen der Qualität von Ärzten oder der medizinischen Einrichtungen zur Verfügung. Stattdessen sehen wir unsere Aufgabe in der Sicherstellung einer hohen ärztlichen Kompetenz durch Fortbildung und einer hohen Versorgungsqualität durch innovative Strukturen in den Behandlungszentren. Diese Aufgabe haben wir in der Akademie einerseits durch ein umfassendes und differenziertes Fortbildungsprogramm und andererseits durch freiwillige Fortbildung in den Subdisziplinen umgesetzt.

Wir engagieren uns, um hier nur einige Beispiele zu nennen, in der Förderung des kardiologischen Nachwuchses, unterstützen die Young Cardiologists, vergeben Forschungsstipendien, erarbeiten Leitlinien zu diagnostischen und therapeutischen Themen, publizieren übersichtliche Pocket-Leitlinien zu den Guidelines der Europäischen Kardiologengesellschaft, unterstützen bei Internet-Portalen zur Information und ärztlichen Weiterbiodung, präsentieren dieser Tage sechs Apps mir strukturierten Informationen für ärztliches Handeln, etc.

Auch für die Qualität in den medizinischen Versorgungsstrukturen wurden Rahmenbedingungen definiert, die für unsere Patienten die höchste Wahrscheinlichkeit auf eine erfolgreiche Behandlung gewähren sollen. Da die Fachgesellschaft für die Qualität im Schwerpunkt Verantwortung übernehmen muss, werden die Maßnahmen zur persönlichen und institutionellen Qualifizierung von der DGK beurteilt und zertifiziert. Ergebnisse dieser Anstrengungen sind zum Beispiel die Zertifizierungen für Brustschmerz-Ambulanzen und Brustschmerz-Zentren, für TAVI-Behandler und TAVI-Zentren, für PCI-Anwender und PCI-Ausbildungszentren sowie für Rhythmuszentren und Ärzte mit rhythmologischer Spezialisierung.

Unabhängig von der noch nicht abgeschlossenen Diskussion einer optimalen, koordinierten und sachdienlichen Zertifizierungsstrategie durch die DGK wird die persönliche und institutionelle Zertifizierung auch als Dokument einer freiwilligen Qualifizierung sowohl gegenüber den Patienten als auch den zuweisenden ärztlichen Kollegen dienen können. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder zertifizierte Arzt der bessere Kardiologe ist oder nur in einer zertifizierten Stätte eine hohe Versorgungsqualität sichergestellt ist.

Allerdings sind wir der Auffassung, dass durch eine evaluierte kontinuierliche Fortbildung und Optimierung der Versorgungsstrukturen die Chancen für eine hervorragende Bewertung des Arztes und seiner Einrichtung deutlich steigen.

 

Quellen: 

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/273406/umfrage/entwicklung-der-lebenserwartung-bei-geburt–in-deutschland-nach-geschlecht/

Deutscher Herzbericht 2017

Mini Review Matthias Mueller-Hennessen and Evangelos Giannitsis: Do we need to consider age and gender for accurate diagnosis of myocardial infarction? DOI 10.1515/dx-2016-0023 Received June 30, 2016; accepted November 4, 2016; published online November 23, 2016

Katus, E. Giannitsis: Published in Cardiology; Journal Scan / Research·October 05, 2017; Cardiac Myosin-Binding Protein C Comparable to Troponins for Diagnosis of MI

Nicht nur zur Infarkt-Diagnostik – taugt kardiales Troponin auch als Marker des Infarkt-Risikos in der Primärprävention?, Medscape 3.1.2017

Biener, E. Giannitsis, et al: Prognostic Value of High-Sensitivity Cardiac Troponin T Compared with Risk Scores in Stable Cardiovascular Disease; The American Journal of Medicine, 130(5), 572-582, 2017; DOI: https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2016.11.028

Ford et al.: High-Sensitivity Cardiac Troponin, Statin Therapy, and Risk of Coronary Heart Disease Journal of the American College of Cardiology; Volume 68, Issue 25, 27 December 2016, Pages 2719-2728

Body et al.: The Use of Very Low Concentrations of High‐sensitivity Troponin T to Rule Out Acute Myocardial Infarction Using a Single Blood Test; Academic Emergency Medicine, 14 May 2016; https://doi.org/10.1111/acem.13012