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Gesteigertes Risiko für plötzlichen Herztod bei Diabetes: Führen Schwankungen des Glucose-Spiegels zu Veränderungen des kardialen sympathischen Nerventonus?

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Dr. Christopher Gemein, Gießen

Diabetes mellitus ist eine Erkrankung mit zunehmender Prävalenz und stellt einen wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktor dar. Studien konnten allerdings nur eine geringe Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch eine anti-diabetische Therapie zeigen und stellten vor allem die Gefahr einer erhöhten Mortalität durch Hypoglykämien bei zu aggressiver Blutzuckersenkung dar. Offenbar scheint die Ursache dieser Todesfälle aber nur selten in einer Ketoazidose zu liegen, vielmehr stehen Phasen einer hypoglykämen Stoffwechsellage im Verdacht, das Risiko eines plötzlichen Herztodes durch das Auftreten von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen zu erhöhen. Studien haben gezeigt, dass sowohl eine Hypo- als auch Hyperglykämie zu einer Verlängerung des QT-Intervalls und damit der relativen Refraktärperiode des Herzens führen und in diesem Sinne die Vulnerabilität für maligne Rhythmusstörungen, wie Torsaden oder Kammerflimmern steigern. Das vermehrte Auftreten von ventrikulären Arrhythmien beruht allerdings nicht alleine auf der QT-Verlängerung, sondern bedarf triggernder ventrikulärer Extrasystolen. Dabei spielt eine erhöhte kardiale sympathische neuronale Aktivität – möglicherweise im fortgeschrittenen Stadium auch im Sinne einer autonomen Dysregulation bei diabetischer Polyneuropathie – eine wesentliche Rolle, da sie die Entstehung triggernder Extrasystolen begünstigt.

Um zu untersuchen, ob abnorme Glucose-Level das Wachstum und die Aktivität kardialer sympathischer Neurozyten beeinflussen können, wurde ein in-vitro-Modell gewählt, in dem andere potentielle Einflussfaktoren ausgeschlossen werden konnten. Hierfür wurden kardioselektive sympathische Neurozyten aus dem superioren cervikalen Ganglion von Ratten isoliert und kultiviert. In dieser Zellkultur wurden die Zellen einem Nährmedium ausgesetzt, welches sich ausschließlich in der jeweiligen Glucose-Konzentration unterschied (Normoglykämie 5 mmol/l; Hypoglykämie 1 mmol/l; Hyperglykämie 20 mmol/l). Während der Inkubationszeit wurden Mediumproben entnommen, aus welchen nachfolgend die aus den Zellen erfolgte Freisetzung von Nerve-Growth-Factor (NGF) als einem der wesentlichen neuronalen Wachstumsfaktoren bestimmt wurde. Des Weiteren wurden aus den kardialen sympathischen Nervenzellen RNA und Proteine isoliert und mittels PCR- und Western-Blot-Technik quantitativ untersucht. Hierbei wurden neben der Expression von NGF auch die Expression des Tyrosinkinase A Rezeptors (Trk A), über den es seine Wirkung entfaltet, sowie die Expression des Wachstumsmarkers GAP-43 (Growth-associated Protein 43) als Nachweis eines stattgefundenen Zellwachstums bestimmt. Neben den morphologischen Parametern erfolgte zudem eine Untersuchung der funktionellen sympathischen neuronalen Aktivität anhand der Expression des Enzyms Tyrosinhydroxylase (TH), welches die Umwandlung der Aminosäure L-Tyrosin in die Aminosäure Levodopa katalysiert und der geschwindigkeitsbestimmende Reaktionsschritt bei der Biosynthese der Katecholamine ist.

Sowohl unter hypoglykämen als auch unter hyperglykämen Bedingungen zeigten sich ein vermehrtes Zellwachstum sowie eine signifikante Steigerung der funktionellen Aktivität der sympathischen Nervenzellen: So konnte bei den Zellen im hypo- bzw. hyperglykämen Nährmedium eine signifikant um 34% bzw. 57% gesteigerte Expression des Wachstumsproteins GAP-43 im Vergleich zur Kontrolle im normoglykämen Medium gemessen werden (Abb. 1A). Auf funktioneller Ebene zeigte sich eine signifikante Steigerung der TH-Protein-Expression als Marker für die Katecholamin-Biosynthese um 44% unter hypoglykämen und 77% unter hyperglykämen Bedingungen (Abb. 1B). Diese morphologischen und funktionellen Effekte unter Hypo- und Hyperglykämie wurden durch eine signifikante Steigerung der NGF- (29% für Hypoglykämie und 51% für Hyperglykämie; Abb. 1C) und TrkA-Protein-Expression (44% für Hypoglykämie und 67% für Hyperglykämie; Abb. 1D) als auch der NGF-Ausschüttung in das Zellkultur-Medium begleitet, so dass eine Vermittlung von gesteigertem Zellwachstum und –aktivität durch eine gesteigerte NGF-Freisetzung wahrscheinlich ist. Dagegen konnten diese auf Proteinebene signifikanten Effekte hinsichtlich der für die jeweiligen Proteine codierenden RNA nicht nachvollzogen werden: hier zeigten sich nur leichte, aber statistisch nicht signifikante Unterschiede im Vergleich zu den Kontrollzellen unter normoglykämen Bedingungen.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass sowohl hypo- als auch hyperglykäme Bedingungen, wie sie bei Patienten mit Diabetes auftreten können, zu einem gesteigerten NGF-vermittelten Wachstum sympathischer kardialer Nervenzellen mit ebenso gesteigerter funktioneller Aktivität führen können. Die Tatsache, dass diese Effekte nur auf Proteinebene und bei der NGF-Freisetzung im Zellkultur-Medium, nicht aber auf der vorgelagerten RNA-Ebene signifikant sind, lässt vermuten, dass die zugrundeliegenden Mechanismen am ehesten post-translationaler Natur sind. Dennoch könnten diese Glucose-abhängigen Veränderungen der kardialen sympathischen Aktivität zu einer erhöhten Vulnerabilität für potentiell lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und damit zu einem erhöhten Risiko für den plötzlichen Herztod bei Diabetikern beitragen.

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