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Einfluss einer Dauermedikation von Psychopharmaka auf die Aufnahmediagnose bei kardiologischen Patienten im Vergleich zu unfallchirurgischen Sturzpatienten

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Dr. Johannes Schwab, Nürnberg

Hintergrund:
Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Inzidenz der Sturzereignisse zu. Für ältere Patienten resultiert aus diesen Sturzereignissen ein deutlich erhöhtes Risiko für Morbidität und Mortalität [1]. Die Verordnung von Psychopharmaka gilt als unabhängiger Risikofaktor für ein erhöhtes Sturzrisiko [2]. In einer Studie von French DD et al. aus den USA konnte dies 2006 für alle Klassen der Psychopharmaka nachgewiesen werden [3]. Neben den klassischen trizyklischen Antidepressiva sind aber auch die moderneren selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors = SSRI) mit keinem geringeren Risiko hinsichtlich Sturzereignissen assoziiert [4].

Zielsetzung:
Ziel dieser prospektiven Studie war es, an einem Patientenkollektiv einer kardiologischen Normalstation im Vergleich zu einem unfallchirurgischen Patientenkollektiv mit und ohne Sturzneigung und Frakturnachweis bei Klinikaufnahme die Verordnung von Psychopharmaka in Assoziation zu Sturzereignissen zu evaluieren. Primär wurde postuliert, dass Psychopharmaka gehäuft bei Patienten mit Sturzneigung in der Eingangsmedikation bei Klinikaufnahme vorliegen.

Methodik und Patientencharakterisierung:
Es wurden insgesamt 212 Patienten konsekutiv prospektiv auf einer kardiologischen und unfallchirurgischen Normalstation bei Klinikaufnahme in die Studie eingeschlossen und primär 3 Patientengruppen wie folgt definiert:
Gruppe 1: Patienten einer kardiologischen Normalstation ohne Sturz bzw. Fraktur.
Gruppe 2: Pateinten einer unfallchirurgische Normalstation mit Sturz und Fraktur.
Gruppe 3: Pateinten einer unfallchirurgische Normalstation ohne Sturz und Fraktur.

Bei jedem Patienten wurde in den einzelnen Gruppen die Aufnahmemedikation nach Art und Anzahl der Psychopharmaka erfasst.

Ergebnisse:

  Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3
Σ Patienten 72 69 71
Σ ♂ Patienten (%) 38 (53) 28 (41) 39 (55)
MD Alter (Jahre) 73 70 69
Psychopharmaka gesamt (%) 12 (17) 35 (51) 21 (30)
Gesamte Anzahl der Pat . mit Psychopharmaka (%) 10 (14) 21 (30) 16 (23)
Geschlechtsspezifischer Anteil mit Psychopharmaka in %
9,7 4,2 20,3 10,1 11,2 11,2

Im Vergleich zu Gruppe 2 (51%) und Gruppe 3 (30%) wurden gesamt am wenigsten Psychopharmaka in Gruppe 1 mit 17% (kardiologisches Patientenkollektiv) verordnet. Auffällig ist allerdings in Gruppe 1 mit 9,7% und Gruppe 2 mit 20,3% der deutliche geschlechtsspezifische Unterschied. So nehmen in Gruppe 1 und 2 doppelt so viele Frauen im Vergleich zu den Männern Psychopharmaka ein. Bei den Sturzpatienten in Gruppe 2 lag der Anteil der Patienten mit Psychopharmaka (30%) doppelt so hoch wie im kardiologischen Kontrollkollektiv (14%). Im kardiologischen Patientenkollektiv wurden 50% der Patienten hausärztlich und weitere 50% von einem Kardiologen vor Klinikaufnahme betreut. Die Verteilung der verordneten 27 Psychopharmaka war in den drei untersuchten Gruppen unterschiedlich (Abb.1 bzw. Tab. 1). Hierbei fällt auf, dass in Gruppe 2 („Sturzpatienten“) vor allem Citalopram und Amitriptyllin vermehrt im Vergleich zu Gruppe 1 und 3 in der Eingangsmedikation nachweisbar war.

Zusammenfassung und Beurteilung:
Wie postuliert findet sich bei den „Sturzpatienten“ im unfallchirurgischen Kollektiv eine deutlich erhöhte Anzahl an Patienten mit Psychopharmaka im Vergleich zu den kardiologischen Patienten (30% vs. 14%). Dieser Trend lässt sich auch bei „Sturzpatienten im Vergleich zu den „Nicht-Sturzpatienten“ allein im unfallchirurgischen Kollektiv feststellen (30% vs. 23%). Citalopram (Substanz 11 in Abb.1) wurde am häufigsten bei den „Sturzpatienten“ im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen verordnet. Es liegt die Vermutung nahe, dass Citalopram im kardiologischen Patientenkollektiv wegen seiner potentiellen rhythmonologischen Nebenwirkung (QT-Zeit Verlängerung) primär von den betreuenden kardiologischen Fachärzten deshalb weniger häufig verordnet wird. Diese Fragestellung sollte an einem größeren Patientenkollektiv prospektiv weiter untersucht werden. Darüber hinaus spielen neben der Verordnung von Psychopharmaka auch die Polypharmazie (mehr als 4 Medikamente gleichzeitig) gerade im Sinne von unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen (UAW) als Risikofaktoren für eine erhöhte Sturzneigung im Alter eine zunehmende Bedeutung.

Literatur:

  1. Stel VS, Smit JH, Pluijm SM, Lips P. Consequences of falling in older men and women and risk factors for health service use and functional decline. Age Ageing 2004;33:58-65.
  2. Souchet E, Lapeyre-Mestre M, Montastruc JL. Drug related falls: a study in the French Pharmacovigilance database. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2005;14:11-16.
  3. French DD, Campbell R, Spehar A, Cunningham F, Bulat T, Luther SL. Drugs and falls in community-dwelling older people: a national veterans study. Clin Ther 2006;28:619-630.
  4. Sleeper  R, Bond CA Rojas-Fernandez C. Psychotropic drugs and falls: new evidence pertaining to serotonin reuptake inhibitors. Pharmacotherapy 2000;20:308-317.

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