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Milde therapeutische Hypothermie – ein Vergleich zwischen den Ergebnissen bei Patienten nach extrahospitaler gegenüber intrahospitaler Reanimation

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Dr. Ivan Tanev, Magdeburg 

Hintergrund: Die Anzahl der Patienten, die auf Grund eines plötzlichen Herz-stillstandes reanimiert werden müssen, steigt ständig. Die häufigsten Ursachen sind kardial bedingt – ca. 80% koronare Herzerkrankung, Kardiomyopathie oder primäre Herzrhythmusstörungen {1}.

In Deutschland werden pro Jahr 30.000-40.000 Patienten außerhalb der Klinik wiederbelebt. Davon überlebt nur etwa jeder Zehnte bis Zwanzigste bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus {2,3}.

Intrahospital reanimierte Patienten werden mit 1 bis 5 pro 1000 Kranken-hauseinweisungen oder 0,175 pro Krankenhausbett und Jahr angegeben {4}.

 Auf der Basis von zwei im Jahr 2002 publizierten Studien {5,6} empfahl das ILCOR (International Liaison Committee on Resuscitation) erstmals im Oktober 2003 eine milde therapeutische Hypothermie (MTH) bei einer Temperatur von 32 bis 34°C über einen Zeitraum von 12 bis 24 Stunden zur Neuroprotektion komatöser, erwachsener Patienten nach defibrillierbarem Herzstillstand und präklinischer Reanimation. Für die Anwendung der milden therapeutischen Hypothermie bei Patienten mit nicht defibrillierbaren Initialrhythmen oder mit einem innerklinischen Herzstillstand fehlte zu diesem Zeitpunkt die Evidenz, so dass die Empfehlung sehr vage formuliert wurde: „ … überlebende Patienten mit anderen Ursachen… nach innerklinischem Kreislaufstillstand könnten von therapeutischer Hypothermie profitieren {7}“.

Im Jahre 2005 übernahmen die American Heart Assosiation (AHA) und das European Resuscitation Council (ERC) die Empfehlungen des ILCORs.

Für die Anwendung der MTH bei Patienten mit nicht defibrillierbaren Initialrhythmen oder mit einem innerklinischen Herzstillstand ist die Evidenz unklar. In den aktuellen Leitlinien des ERC wird die Anwendung der MTH zwar mit niedrigem Evidenzlevel auf nicht defibrillierbare Initialrhythmen ausgeweitet, es gibt jedoch keine Studien, die sich ausdrücklich mit der Kühlung innerklinisch reanimierter Patienten beschäftigen.   

Methoden: Um mehr Erkenntnisse über die Problematik der Anwendung der MTH bei Patienten nach intrahospitaler Reanimation (IHR) zu gewinnen, verglichen wir deren Ergebnisse mit denen von Patienten nach extrahospitaler Reanimation (EHR). Alle Patienten wurden auf der internistischen Intensivstation des Universitätsklinikums Magdeburg behandelt (Oktober 2009 – März 2013). Es wurden retrospektiv 98 Patienten mit Hypothermiebehandlung ausgewertet – davon waren 64 extrahospital reanimiert und 34 (nicht beobachteter Herzstillstand oder prolongierte Reanimation ohne Wiedererlangen des Bewußtseins) intrahospital reanimiert. Im Vordergrund sollten beide Gruppen nach ihren demographischen Daten, Krankengeschichte, Ausgang sowie intensivmedizinischen und hypothermiespezifischen Daten verglichen werden. 

Ergebnisse: Die IHR Patienten waren signifikant älter (im Durchschnitt 6 Jahre). Die Geschlechtsverteilung in beiden Gruppen war nicht signifikant unterschiedlich, wobei Männer dominierten (26:8 bzw. 55:9). Die EHR Patienten hatten signifikant häufiger (22% mehr als IHR) eine kardiale Ursache für die Reanimation, wurden um 28 % häufiger defibrilliert (bei einigen Patienten fehlten diesbezüglich genaueren Angaben) und erhielten entsprechend häufiger eine Herzkatheteruntersuchung (34% mehr als die IHR). Die EHR zeigten keine signifikante Unterschiede zu den IHR-Patienten bezüglich des Beginns der Hypothermie, Erreichens einer Temperatur <34oC, Laktat-Wertes bei Aufnahme, Zeit bis zur Laktatnormalisierung, ITS-Verweildauer, KH-Verweildauer, Beatmungszeit und ITS-Mortalität. Signifikante Unterschiede zwischen EHR und IHR zeigten die NSE-Werte (40,1 ng/ml mehr bei den EHR) und der SAPS II-Score (7,1 Punkte mehr bei den IHR) (Tab. 1).

  EHR (n=64) IHR (n=34) P value
Alter 61,4±12,7 67,5±13,1 0,03
Geschlecht     n.s.
      weiblich 9 (14%) 8 (24%)  
      männlich 55 (86%) 26 (76%)  
Ursache     0,02
      kardial 56 (87%) 22 (65%)  
      nicht kardial 8 (13%) 12 (35%)  
Defibrillation 41/60 (68%) 10/25 (40%) 0,01
Herzkatheter 44 (69%) 12 (35%) 0,02
MTH-Beginn (h) 4,6±4,4 4,1±1,6 n.s.
Zeit bis Zieltemperatur (h) 6,7±3,2 6,5±3,1 n.s.
Lactat (mmol/l) 6,0±4 7,5±5 n.s.
Zeit-Laktatnormalisierung (h) 22,6±21,2 22,5±21,7 n.s.
NSE (ng/ml) 99,8±132,5 59,7±44,4 0,01
SAPS II-Score 47,8±9,8 54,9±10,8 0,03
ITS-Verweildauer (d) 13,5±9,6 11,7±9,0 n.s.
KH-Verweildauer (d) 20,3±15,8 16,0±11,9 n.s.
Beatmungszeit (h) 242±183 240±208 n.s.
ITS-Mortalität 26 (41%) 16 (47%) n.s.
KH-Mortalität 27 (42%) 20 (59%) n.s.

Tab. 1. Vergleich der Ergebnisse 

Diskussion: Retrospektiv wurden in unserer Studie zum ersten Mal die Ergebnisse einer Hypothermiebehandlung zwischen extra- und intrahospital reanimierten Patienten verglichen. Erwartungsgemäß wurden bei den EHR Patienten häufiger kardiale Ursachen für die Reanimationspflichtigkeit und höhere NSE-Werte gefunden. Überaschenderweise waren die Zeiten bis zur Einleitung der MTH und des Erreichens der Zieltemperatur in beiden Gruppen identisch. Dieses ist sicherlich durch die vergleichbaren Reanimationsbedingungen (KH- oder Notarzt-Reanimationsteam und infrastrukturell bedingte Transportnotwendigkeit mit Rettungswagen auch bei den meisten IHR) zu erklären.

Die Mortalität war auch überaschenderweise in beiden Gruppen gleich. Unsere Daten widersprechen der allgemein angenommenen besseren Prognose der IHR-Patienten. Wenn der Herzstillstand unbeobachtet ist, oder die Reanimation sich als schwierig erweist und die Patienten nach Wiederherstellen des Kreislaufs bewusstlos verbleiben, ist die Prognose der IHR vergleichbar mit dieser der EHR. Die MTH ist das einzige bislang etablierte und in den internationalen Leitlinien zur Reanimation von erwachsenen Patienten aufgenommene Verfahren, das nachweislich sowohl eine Verbesserung der Überlebensrate als auch des neurologischen Zustandes ermöglicht. Somit ist eine MTH durchaus auch bei protrahierten IHR berechtigt. Ob der Einfluss der MTH bei IHR auf die Prognose genauso ausgeprägt ist wie bei EHR, ließe sich nur mit prospektiv, randomisierte Studien überprüfen, vor allem, weil die Patientengruppen unterschiedlich sind. 

 

Literaturverzeichnis 

[1]    Huikuri HV., Castellanos A, Myerburg RJ. (2001) Sudden death due to cardiac arrhythmias. N. Engl. J. Med. 345:1473–1482.

[2]    Atwood C, Eisenberg MS., Herlitz J, Rea TD. (2005) Incidence of EMS-treated out-of-hospital cardiac arrest in Europe. Resuscitation 67:75–80.

[3]    Nichol G (2008) Regional Variation in Out-of-Hospital Cardiac Arrest Incidence and Outcome. JAMA 300:1423.

[4]    Sandroni C, Nolan J, Cavallaro F, Antonelli M (2007) In-hospital cardiac arrest: incidence, prognosis and possible measures to improve survival. Intensive Care Med 33:237–245.

[5]   Bernard SA., Gray TW., Buist MD., Jones BM., Silvester W, Gutteridge G, Smith K (2002) Treatment of comatose survivors of out-of-hospital cardiac arrest with induced hypothermia. N. Engl. J. Med. 346:557–563.

[6]   Holzer M at The Hypothermia after  Cardiac Arrest Study Group (2002) Mild Therapeutic Hypothermia to              

        Improve the Neurologic Outcome after Cardiac Arrest. N Engl J Med 346:549–556.

[7]     Nolan JP., Morley PT., Hoek TL.Vanden, Hickey RW. (2003) Therapeutic hypothermia after cardiac arrest. Resuscitation 57:231–235.

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