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Weniger ist mehr oder: Downsizing von Defibrillator-Elektroden

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Dr. Götz Buchwalsky, Bremen

Nach aktuellen Daten des deutschen Herzschrittmacher- und Defibrillator-Zentralregisters wurden 2010 in Deutschland 35.598 Defibrillator-Operationen durchgeführt. Davon waren 25.582 Neuimplantationen und 7.014 Revisionen. Im Vergleich zu Schweden fällt in Deutschland bei Neuimplantationen eine hohe Quote an Implantationen von sogenannten Dual-Coil-Elektroden (Schweden 44% vs. Deutschland 61,3%) auf. In Deutschland implantieren 242 von 614 Zentren in mehr als 90% der Fälle ausschließlich Dual-Coil-Elektroden. Diese Elektroden suggerieren eine höhere Sicherheit zur effektiven Beendigung von lebensbedrohlichen Arrhythmien. Der früher relevante Vorteil der niedrigeren Defibrillationsschwelle ist jedoch nach Studienlage mit Geräten mit biphasischer Abgabe des Schockimpulses (Rinaldi 2003!) nicht nachgewiesen. Heute sind von allen Herstellern implantierbare Defibrillatoren mit einer effektiven Defibrillationsenergie von 35-40 Joule (vor 5 Jahren 25-30 Joule) verfügbar. Die Dual-Coil-Elektroden führen durch Wandkontakt der proximalen Schockwendel im Gefäßsystem (Vena cava superior, z. T. bis zur Vene subclavia) zu erheblichen Verwachsungen der proximalen Metall-Spule (Abb. 1). Diese Verwachsungen sind im Bereich der V. cava superior und der V. subclavia mit einer hohen Rate an Stenosen oder Verschlüssen der genannten Gefäße verbunden. Defekte von implantierbaren Elektroden, insbesondere Defibrillator-Elektroden, stellen mit 28-40%! nach 8 Jahren ein häufiges Problem dar. Notwendige Elektrodenwechsel mit Explantation von Dual-Coil-Elektroden wegen Defekt oder Systeminfektion gelten nach Expertenmeinung als sehr schwierig und risikoreich. Sowohl die zunehmend erhöhte Überlebenschance der ICD-Patienten als auch die wachsende Zahl von ICD-Implantationen schon im Kindes – und Jugendalter stellt an die begrenzten Haltbarkeit der ICD-Elektroden hohe Anforderungen. Zudem wächst in den letzten 10 Jahren die Zahl an implantierten Elektroden/pro Patient exponentiell durch eine breitere Anwendung von Resynchronisationssystemen (CRT-ICDs) mit überwiegend drei Elektroden.

In einer retrospektiven Analyse wurden die Defibrillator-Tests (VF-Tests) von
insgesamt 1670 Patienten untersucht, die zwischen 1999 und 2012 eine Erstimplantation eines ICDs erhalten haben. Beginnend Mitte 2010 und konsequent seit Anfang 2011 wurden in unserem Zentrum primär nur noch Single-Coil-Elektroden implantiert. Bis Ende 2012 konnten somit die VF-Tests von 713 Patienten mit Dual-Coil- (DC) und 957 mit Single-Coil-Elektrode (SC) ausgewertet werden. Ein effektiver VF-Test wurde als Terminierung von Kammerflimmern mit mindestens 10 Joule unterhalb der maximalen Energie des ICDs (mit dem 1. Schock) definiert.

Patientenkollektiv:

Im gesamten Zeitraum von 1999 bis Ende 2012 wurden 1028 1-Kammer-, 357 2-Kammer- und 284 CRT-ICDs (61,5%; 21,3%; 17%), bei denen ein Defibrillator-Test durchgeführt wurde, implantiert. Das durchschnittliche Lebensalter bei Implantation lag bei 61,2 Jahren (DC-Gruppe 63,8, SC-Gruppe 58,8 Jahre). Die linksventrikuläre Auswurffraktion (EF) bei Implantation betrug im Mittel 33,8% (DC-Gruppe 31,8%, SC-Gruppe 35,6%).1035 Patienten erhielten einen ICD aus primär-prophylaktischer Indikation (61,9%). Folgende Grunderkrankungen lagen vor: in 56,2% eine ischämische Kardiomyopathie (ICMP: 939/1670), in 24,9% eine dilatative Kardiomyopathie (DCM: 416/1670) und in 18,9% (719/1670) sonstige Erkrankungen.

Im Beobachtungszeitraum änderte sich das Implantationsverhalten bezogen auf die Verwendung von Single-Coil-Elektroden deutlich. Vergleicht man vor Juni 2010 (gemischt SC und DC) mit nach 06-2010, so ergeben sich folgende Änderungen: Lebensalter (57,3 Jahre vs. 63,2 Jahre), mittlere EF (36,8% vs. 33,1%), ICMP (50,8% vs. 51,8%), DCM (26,1% vs. 34,9%) und die restlichen Erkrankungen (23,2% vs. 13,3%). Bis Juni 2010 wurden die Patienten nach individuellen Kriterien und je nach Präferenz des Operateurs mit Single- und Dual-Coil-Elektroden versorgt. Somit erhielten 53,7% der Patienten eine Dual-Coil-Elektrode. Zwischen 06/2010 bis Ende 2011 sank die Zahl auf 16%. Seit dem 01.01.2012 erhielten alle Pat. primär eine Single-Coil-Elektrode.

Ergebnisse:

Untersucht wurde die Effektivität des 1. Defibrillationstests mit ≥ 10 Joule unterhalb der maximal verfügbaren ICD-Energie. In der Zeit von 1999-2012 fanden sich 7,1% ineffektive VF-Tests in der SC-Gruppe (68/957) und 6,73% in der DC-Gruppe (48/713). Die mittlere abgegebene Schockenergie in beiden Gruppen war in diesem Zeitraum vergleichbar (SC 23 Joule, DC 25 Joule). Die Effektivität der VF-Tests nahm in der SC-Gruppe in dem Beobachtungszeitraum zu (bis Juni 2010: 92,9% effektiv, 2010-2012: 95,8% effektiv). Parallel dazu stieg die abgegebene Schockenergie von durchschnittlich 21 auf 27 Joule. Mittels Multivarianz-Analyse konnte die Single-Coil-Elektrode nicht als Risikofaktor für einen ineffektiven Defibrillator-Test identifiziert werden. Prädiktoren für einen ineffektiven VF-Test bei Implantation waren eine Amiodaron-Therapie (p= 0,002) und ein junges Lebensalter (56,9 Lebensjahre bei nicht effektiven vs 61,5 Lebensjahre bei effektivem VF-Test; p< 0,001). Von 12 ineffektiven Defibrillator-Tests mit ≥ 10 Joule unter Maximalenergie seit Juni 2010 war das Problem des ineffektiven Tests nur bei einem Pat. durch Wechsel von einer Single- auf eine Dual-Coil-Elektrode zu lösen. Bei den übrigen Pat. waren folgende Strategien erfolgreich: Umprogrammierung des ICD (3 Pat.; Tilt-Anpassung oder Schockpfadänderung), ein 2. Test mit weniger tiefer Narkose (2 Pat.), eine Wiederholung des Tests mit 5 Joule unter Maximalenergie (1 Pat.), die Positionierung einer Schockelektrode in eine posterolaterale Koronarvene (LV ins Schockfeld; 1 Pat.). Bei 2 Patienten war der VF-Test mit maximaler Energie erfolgreich, was aufgrund der Indikation zum ICD (primärprophylaktische CRT-Indikation) akzeptiert wurde. Bei weiteren 2 Patienten war ebenfalls die maximale Energie-Abgabe zur Terminierung erfolgreich; da jedoch die Induktion von Kammerflimmern sehr komplex und langwierig war (mehr als 5 Versuche, bis zur Induktion von anhaltendem Kammerflimmern), wurde dieser Test im Ergebnis akzeptiert. Zusammenfassung:

Nach retrospektiver Analyse führt die Implantation von Single-Coil-Elektroden insbesondere in Kombination mit „high-energy“ ICDs nicht zu einer erhöhten Anzahl ineffektiver VF-Tests. Daher lautet die Empfehlung, zukünftig mit Blick auf potentielle Revisionen ausschließlich Single-Coil-Elektroden zu verwenden. Mit der systematischen Umstellung des Implantations-Regimes auf Single-Coil-
Elektroden sind 95,8% im ersten Defibrillationstest mit 10 Joule unterhalb der maximalen Energie (27 ± 2 Joule) effektiv. Bei ineffektiven VF-Tests sind Lösungen dieses Problems oftmals nicht durch die Implantation einer Dual-Coil-Elektrode, sondern durch andere Maßnahmen zu erreichen. Ein kompletter Verzicht auf einen VF-Test ist aus unseren Daten nicht begründbar, da 12 Pat. seit Juni 2010 eine Umprogrammierung des ICD oder eine zusätzliche Defibrillationselektrode zur sicheren Defibrillation benötigten. Einschränkend muss betont werden, dass es sich bei dieser Studie nicht um eine randomisierte Studie handelt. Die Anzahl der ausgewerteten VF-Tests bei wenig verfügbaren Daten sollte jedoch ein Umdenken bei der Elektrodenauswahl einleiten.

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